Genehmigung klinischer Studien in Europa

Last update: 9 November 2016

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Was ist eine klinische Studie?

Klinische Forschung ist ein wichtiger Teil des Prozesses der Gewinnung von Wissen und Erkenntnissen über die menschliche Gesundheit und über Erkrankungen sowie der Entwicklung neuer und wirksamer Therapien gegen diese Erkrankungen. Klinische Studien sind ein wichtiger Teil der evidenzbasierten medizinischen Forschung.

Klinische Studien sind Forschungsstudien, in denen die Sicherheit und Wirksamkeit einer neuen Behandlung am Menschen (gesunden Freiwilligen oder Patienten) getestet wird. Eine „Behandlung“ kann in diesem Zusammenhang Folgendes sein:

  • ein Arzneimittel
  • ein Medizinprodukt – beispielsweise eine Hörhilfe
  • ein operativer Eingriff
  • ein Test für die Diagnose einer Erkrankung

In einer klinischen Studie kann auch verglichen werden, ob eine neue Behandlung besser ist als vorhandene Alternativen. Auch wenn eine neue Behandlung in ersten Laboruntersuchungen sehr vielversprechend sein mag, sind dennoch klinische Studien notwendig, um ihren Nutzen und ihre Risiken für den Menschen zu erkennen und zu belegen. „Besser“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht unbedingt „besser wirksam“, sondern kann auch bedeuten „mit weniger Nebenwirkungen (unerwünschten Arzneimittelwirkungen, UAW)“ oder „bessere Handhabung, geringere Belastung“ und Anderes. Dies drückt sich manchmal im Design (dem Konzept) von klinischen Studien aus, wenn dabei nach Gleichwertigkeit mit oder Nichtunterlegenheit gegenüber einer vorhandenen Behandlung gefragt wird.

Klinische Studien werden von Gruppen von Ärzten, Wissenschaftlern und anderen Fachleuten konzipiert. Das Studiendesign fußt in der Regel auf einer gründlichen Analyse der vorhandenen Forschung und der Erkenntnis, dass bestimmte Fragen über die Behandlung, die Symptomlinderung oder Nebenwirkungen beantwortet werden müssen. Um das bestmögliche Studiendesign aufzustellen, setzen sich Mediziner, Krankenschwestern, Patienten, Statistikfachleute und unterstützende Mitarbeiter sowie Vertreter von Unternehmen oder Geldgebern zusammen. Der Hintergrund, das Design und der Plan für die Studie stehen in einem Dokument, das Prüfplan genannt wird.

Wie laufen klinische Studien ab?

Ein Antrag auf Genehmigung der klinischen Studie (CTA, clinical trial application) muss bei den zuständigen Behörden eingereicht werden. Eine Ethikkommission (REC, research ethics committee) beurteilt den Prüfplan ebenfalls und gibt eine positive oder negative Stellungnahme ab. Damit soll gewährleistet werden, dass bei der Forschung die Würde, die Rechte, die Sicherheit und das Wohlbefinden der Teilnehmer geschützt werden. Um die Einhaltung ethischer Standards zu gewährleisten, wird die Mehrzahl der Prüfpläne von klinischen Studien unter Befolgung der Erklärung von Helsinki entwickelt. Dies ist eine Reihe von ethischen Standards für Forschungen an Menschen, menschlichem Material oder personenbezogenen Daten, die 1964 vom Weltärztebund WMA entwickelt und inzwischen mehrere Male überarbeitet wurde.

Klinische Studien mit Arzneimitteln sind in der Europäischen Union (EU) mithilfe von Verordnungen, Richtlinien und Leitlinien geregelt. Der Standard, nach dem sich klinische Studien richten, ist die Gute Klinische Praxis gemäß der Definition in einer Leitlinie der Internationalen Harmonisierungskonferenz (International Conference on Harmonisation, ICH). Es handelt sich dabei um einen internationalen Qualitätsstandard, der in allen Mitgliedstaaten der EU zu gelten hat. Er beschreibt die Verantwortlichkeiten und Erwartungen aller an der Durchführung klinischer Studien Beteiligten, also von Prüfern, Monitoren, Sponsoren und Ethikkommissionen. Die Gute Klinische Praxis beinhaltet Aspekte der Überwachung, Berichterstattung und Archivierung von Daten aus klinischen Studien und die Ergänzung der essentiellen Dokumente und der Prüferinformation, die zuvor im ICH-Prozess vereinbart wurden.

Wer führt klinische Studien durch und warum?

An klinischen Studien sind in der Regel mehrere verschiedene Interessengruppen beteiligt. Es ist nützlich, zu wissen, wer die Einrichtung und Durchführung einer Studie leitet und warum:

  • Ein Sponsor: Dies ist die Körperschaft (meist eine Firma, eine Universität oder ein Krankenhaus), die die Verantwortung für die Organisation der Studie übernimmt und diese oftmals auch finanziert.
  • Ein Prüfer (oder mehrere Prüfer bei multizentrischen Studien): Der Arzt, der für die Durchführung der Studie verantwortlich ist.
  • Manchmal verpflichtet der Sponsor ein Auftragsforschungsinstitut für die Zuarbeit bei der logistischen Organisation und Durchführung der Studie.

Sponsoren können Unternehmen oder öffentlich finanzierte Institutionen/Behörden sein. Beide können Studien durchführen, um mit den gesammelten Daten einen Antrag zu stellen, dass sie ein Produkt für eine bestimmte Indikation vermarkten und vertreiben dürfen.

Sie können auch Studien im Interesse der Allgemeinheit zum besseren Verständnis von Krankheiten durchführen. Gelegentlich arbeiten sie mit anderen Partnern zusammen an der Erforschung eines bestimmten Problems. Dies muss nicht von kommerziellem Interesse sein, sondern kann auch im Interesse der Patienten und des Gesundheitssystems liegen.

Geschichte der Gesetzgebung zur klinischen Forschung in Europa

Sowohl in den USA als auch in Europa gab es mehrere Skandale, die zur Veränderung der Gesetzgebung führten. So führte beispielsweise der so genannte Contergan-Skandal 1965 zur Erlassung der ersten Europäischen Richtlinie mit der Nummer 65/65/EWG durch den Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Darin wurde festgelegt, dass ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat nicht auf den Markt gebracht werden darf, bevor die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats nicht die entsprechende Genehmigung ausgesprochen hat. Im Prinzip mussten pharmazeutische Unternehmen die Genehmigung für ihre Arzneimittel in jedem Land einzeln beantragen, bevor sie mit der Vermarktung in diesem Land beginnen konnten.

Im Jahr 1995 wurden das Europäische System für die Marktzulassung von Arzneimitteln und die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA) gegründet. Die Bewertung der Anträge und die Erarbeitung von Leitlinien wurde unter Eingliederung des Ausschusses für Arzneispezialitäten (CPMP, Committee for Proprietary Medicinal Products) und des Ausschusses für Tierarzneimittel (CVMP, Committee for Veterinary Medicinal Products) bewerkstelligt. Dank des zentralisierten Verfahrens musste nicht mehr jeder einzelne Mitgliedstaat die Anträge prüfen – eine einzige Genehmigung gilt für alle Mitgliedstaaten.

Für die Arzneimittel, die nicht im zentralisierten Verfahren zugelassen werden, kommt das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung (MRP, mutual recognition procedure) oder das dezentralisierte Verfahren (DCP, decentralised procedure) zur Anwendung. Diese beiden ähneln dem früheren Vorgehen darin, dass der Antragsteller direkt bei einem einzelnen Mitgliedstaat vorspricht. Sobald das Arzneimittel von der dortigen Behörde zugelassen ist, kann der Antragsteller beantragen, dass andere Mitgliedstaaten die Zulassung anerkennen und ebenfalls eine Marktzulassung aussprechen (MRP) oder dass die Mitgliedstaaten beim vorgelegten Antrag direkt zusammenarbeiten (DCP) Im Jahr 2004 wurde der Langname der Agentur auf Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) gekürzt. Der CPMP wurde in Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP – Committee for Medicinal Products for Human Use) umbenannt.

Die ICH-GCP-Leitlinie setzt einen internationalen harmonisierten Qualitätsstandard zum Schutz der Rechte, der Sicherheit und des Wohlergehens menschlicher Studienteilnehmer. Sie minimiert den Kontakt von Menschen mit Prüfpräparaten und verbessert die Datenqualität, mit dem Ziel der Beschleunigung der Entwicklung neuer Arzneimittel und der Senkung der Kosten für Sponsoren und die Öffentlichkeit. Die Einhaltung dieser Leitlinie schafft öffentliches Vertrauen, dass die Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen der Studienteilnehmer im Einklang mit den Grundsätzen der Deklaration von Helsinki geschützt werden. Außerdem wird gewährleistet, dass die klinischen Studiendaten glaubwürdig sind.

Im ICH-GCP sind 13 Grundsätze festgelegt:

  1. Klinische Studien müssen gemäß den ethischen Grundsätzen durchgeführt werden, die ihren Ursprung in der Erklärung von Helsinki haben und mit der Guten Klinischen Praxis sowie mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen vereinbar sind.
  2. Vor Beginn einer klinischen Studie müssen die vorhersehbaren Risiken und Unannehmlichkeiten gegen den zu erwartenden Nutzen für den einzelnen Studienteilnehmer und die Gesellschaft abgewogen werden. Eine Studie sollte nur begonnen und fortgesetzt werden, wenn die erwarteten Vorteile die Risiken rechtfertigen.
  3. Die Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen des Studienteilnehmers genießen oberste Priorität und haben Vorrang vor den Interessen von Wissenschaft und Gesellschaft.
  4. Die vorliegenden nichtklinischen und klinischen Informationen zu einem Prüfpräparat müssen die vorgeschlagene klinische Studie hinreichend stützen.
  5. Klinische Studien müssen wissenschaftlich fundiert sein und in einem klar formulierten, detaillierten Prüfplan beschrieben werden.
  6. Eine klinische Studie muss in Übereinstimmung mit dem Prüfplan durchgeführt werden, der zuvor durch ein institutionelles Prüfungsgremium/eine unabhängige Ethikkommission genehmigt/zustimmend bewertet wurde.
  7. Die medizinische Versorgung der Studienteilnehmer sowie die in ihrem Namen getroffenen medizinischen Entscheidungen müssen immer von einem qualifizierten Arzt oder ggf. einem qualifizierten Zahnarzt verantwortet werden.
  8. Jede an der Durchführung einer klinischen Studie beteiligte Person muss durch Aus- und Weiterbildung sowie berufliche Erfahrung für die Ausführung ihrer jeweiligen Aufgabe(n) qualifiziert sein.
  9. Vor der Teilnahme an einer klinischen Studie muss von jedem Studienteilnehmer eine freiwillig abgegebene Einwilligungserklärung nach vorheriger Aufklärung eingeholt werden.
  10. Alle klinischen Studiendaten müssen so aufgezeichnet, behandelt und aufbewahrt werden, dass eine korrekte Berichterstattung, Interpretation und Überprüfung möglich ist.
  11. Die vertrauliche Behandlung der Aufzeichnungen, anhand derer die Identifizierung der Studienteilnehmer möglich wäre, muss gewährleistet sein, wobei die Regelungen zum Schutz der Privatsphäre und zur Wahrung der Vertraulichkeit gemäß den geltenden gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden müssen.
  12. Herstellung, Handhabung und Lagerung der Prüfpräparate müssen gemäß der geltenden Guten Herstellungspraxis (GMP, good manufacturing practice) erfolgen. Sie müssen gemäß dem genehmigten Prüfplan angewendet werden.
  13. Es müssen Systeme mit Maßnahmen eingeführt werden, die die Qualität jedes Aspekts der klinischen Studie gewährleisten.

Aktuelle gesetzliche Situation in Europa

Vor 2001 hatte jeder EU-Mitgliedstaat seine eigenen nationalen Regelungen und Zulassungssysteme für klinische Studien (z. B. in Irland der „Clinical Trials Act“ 1987 und 1990). Dadurch war die Komplexität der multinationalen europäischen klinischen Forschung sehr hoch, hauptsächlich durch unterschiedliche Anforderungen und Genehmigungsmechanismen in den einzelnen Ländern. Um die Genehmigung klinischer Studien zwischen den Mitgliedstaaten zu standardisieren und zu harmonisieren, hat die Europäische Kommission die erste „Richtlinie über klinische Prüfungen“ verfasst. In Europa wird die Genehmigung klinischer Studien durch eine Zulassungsbehörde erteilt und erfordert eine positive Stellungnahme durch eine Ethikkommission. Die „Richtlinie über klinische Prüfungen“ legte die Mindestanforderungen an klinische Studien fest und definierte eine bestimmte Unterkategorie von Arzneimittels namens „Prüfpräparat“ (IMP, investigational medicinal product). Sie musste bis Mai 2004 in jedem EU-Mitgliedstaat in nationale Gesetzgebung umgesetzt werden.

Zu den Anforderungen gehörten:

  • Schutz der Studienteilnehmer gemäß der Erklärung von Helsinki
  • Zustimmung der Zulassungsbehörden pro Mitgliedstaat innerhalb bestimmter Zeiträume
  • Eine einzelne Stellungnahme einer Ethikkommission (pro Mitgliedstaat) innerhalb bestimmter Zeiträume
  • Gemeinsamer Qualitätsstandard der GCP (ICH-GCP)

Mehr über die Anforderungen in den einzelnen Ländern finden Sie auf der EMA-Website, wo eine Liste der zuständigen nationalen Behörden in den EU-Mitgliedstaaten aufgeführt ist:: https://www.ema.europa.eu/en/partners-networks/eu-partners/eu-member-states/national-competent-authorities-human

Die „Richtlinie über klinische Prüfungen“ wurde durch die Verordnung (EU) Nr. 536/2014 ersetzt, die nicht vor dem 28. Mai 2016 in Kraft tritt. Die neue Verordnung sorgt dafür, dass die Regeln für die Durchführung klinischer Studien in der gesamten EU identisch sind.

Hauptmerkmale der neuen Verordnung:

  • gestrafftes Antragsverfahren durch Zugang zu einem einzigen Informationspunkt, dem EU-Portal
  • ein einziger Satz von Dokumenten, die als Antrag eingereicht werden müssen
  • eine harmonisierte Vorgehensweise für die Beurteilung der Anträge auf klinische Studien
  • streng definierte Fristen für die Entscheidung über den Antrag
  • Einbeziehung der Ethikkommission in das Entscheidungsverfahren gemäß dem nationalen Gesetz des Mitgliedstaats, jedoch unter dem in der Verordnung definierten Zeitplan
  • Verlängerung des Prinzips der stillschweigenden Vereinbarung auf den gesamten Zulassungsprozess, die den Sponsoren, insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen und Universitäten, erhöhte Rechtssicherheit gibt, ohne die klinische Sicherheit zu gefährden
  • vereinfachte Berichterstattung, die es den Sponsoren erspart, weitgehend identische Informationen getrennt an verschiedene Gremien und in verschiedene Mitgliedstaaten zu schicken
  • erhöhte Transparenz hinsichtlich klinischer Studien und ihrer Ergebnisse
  • Kontrollen in Mitgliedstaaten und Drittländern, um zu gewährleisten, dass die Regeln für klinische Studien ordnungsgemäß überwacht und durchgesetzt werden

Klinische Studien, die außerhalb der EU durchgeführt werden, aber auf die sich in einer für die EU beantragten klinischen Studie bezogen wird, muss behördliche Anforderungen erfüllen, die mindestens gleichwertig sind mit denen, die in der EU gelten.

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