Statistische Verfahren in klinischen Studien: Verzerrung

Last update: 8 Juli 2015

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Einleitung

Statistische Methoden ermöglichen eine formale Beurteilung möglicher Ursachen für Variabilitäten im Ansprechen von Patienten auf eine Behandlung. Die Anwendung statistischer Methoden ermöglicht es dem klinischen Forscher, aus den erfassten Informationen realistische und akkurate Störeinflüsse zu ermitteln und trotz bestehender Unsicherheiten belastbare Entscheidungen zu treffen. Sollen Fehler und Verzerrungen in der medizinischen Forschung vermieden werden, kann auf die Anwendung statistischer Methoden nicht verzichtet werden. Dieser Artikel behandelt das Konzept „Verzerrung“ in klinischen Studien.

Was versteht man unter Verzerrung?

Verzerrung ist jede absichtliche oder unabsichtliche Anpassung des Designs und/oder der Durchführung einer klinischen Studie, der Analyse und der Auswertung der Daten, die sich auf die Ergebnisse auswirken kann.

Verzerrung kann sich auf die Ergebnisse einer klinischen Studie auswirken und dazu führen, dass diese unzuverlässig sind.

Verzerrungen können in jeder beliebigen Phase einer Forschungstätigkeit auftreten, beispielsweise bei der Auslegung der Studie oder der Erfassung, Analyse oder Veröffentlichung der Daten.

Verbreitete Arten einer solchen Verzerrung sind:

Auswahlverzerrung (bei der Patientenrekrutierung)

Erfolgt die Auswahl der Patienten nicht unabhängig von Alter und Gesundheitsstatus, können die Behandlungsergebnisse in der Gruppe mit den jüngeren und generell gesünderen Patienten deutlicher ausfallen. Jegliche Unterschiede zwischen den in den beiden Behandlungsgruppen erzielten Ergebnissen können dann nicht mehr ausschließlich der jeweiligen Behandlung zugeschrieben werden.

Verhinderung einer Auswahlverzerrung bei der Patientenrekrutierung

Randomisierung verfolgt das Ziel, sicherzustellen, dass – speziell bei großen Patientenzahlen – zwei oder mehr Behandlungsgruppen (Behandlungsarme) hinsichtlich bekannter wie unbekannter Faktoren vergleichbar sind.

Dies geschieht, indem die Patienten den einzelnen Behandlungsarmen unter Verwendung von Zufallszuweisungstechniken zugewiesen werden.

Eine sachgerecht durchgeführte Randomisierung der Patienten ermöglicht es dem Forscher, die beobachteten Behandlungseffekte (Ansprechrate, Überleben usw.) als eindeutig durch die Behandlung und nicht durch andere Faktoren (Störfaktoren) verursacht zu evaluieren.

Auswahlverzerrung (zum Zeitpunkt der Analyse)

Im Verlauf der Studie können diverse geläufige Probleme im Zusammenhang mit der Therapietreue (Compliance) des Patienten, dem Protokoll (Studienmethodik) und dem verordneten Behandlungsregime auftreten. Hierzu einige Beispiele:

  • Die Behandlung kann unterbrochen oder von den im Protokoll festgeschriebenen Vorgaben abweichend modifiziert worden sein
  • Die Beurteilungen der Erkrankung können mit Verzögerung oder überhaupt nicht durchgeführt worden sein
  • Patienten können für sich entscheiden, aus der Studie auszuscheiden
  • Patienten können sich nach der Randomisierung als ungeeignet erweisen

Stellen Sie sich die Konfiguration einer klinischen Studie für den Vergleich einer neuen experimentellen Behandlung mit der Standardversorgung vor. In dieser Studie sind manche der Patienten, die die experimentelle Behandlung erhalten, zu krank, um sich zum vorgesehenen Zeitpunkt für den nächsten Studientermin vorzustellen. Ein möglicher Ansatz wäre, nur solche Patienten bei der Analyse der Ergebnisse zu berücksichtigen, bei denen die Nachsorge vollständig abgeschlossen wurde, also Patienten, die nicht alle Studientermine wahrnehmen konnten, aus der Analyse auszuschließen. Auf diese Weise würde man jedoch eine Untergruppe von Patienten selektieren, die per definitionem ein künstlich positives Bild der zu beurteilenden Behandlung liefert.

Verhinderung einer Verzerrung zum Zeitpunkt der Analyse

Eine Möglichkeit hierfür ist, alle randomisierten Patienten in der Analyse zu berücksichtigen, ob diese nun die Behandlung erhalten haben oder nicht – oder anders ausgedrückt: Wer randomisiert wurde, wird auch analysiert. Das entsprechende statistische Konzept wird als Intention-to-treat-Analyse (ITT-Analyse) bezeichnet.

ITT-Analysen wahren die ursprünglich durch die Randomisierung erhaltene Balance der den Patienten charakterisierenden Eigenschaften zwischen den verschiedenen Behandlungsarmen, wodurch die durch eine ITT-Analyse erhaltenen Daten als lebensnäher angesehen werden.

Messverzerrung (bei der Datenerfassung)

Eine Messverzerrung kann auftreten, wenn die für die Datenaufzeichnung eingesetzten Instrumente, Verfahren oder Systeme mängelbehaftet sind. Möglicherweise ist ein Instrument falsch kalibriert, oder vielleicht liegen die Studientermine gerade so, dass auf andere Weise nicht beobachtbare Ereignisse nicht korrekt erfasst werden.

Verhinderung von Messverzerrungen (bei der Datenerfassung)

Wenn Sie beispielsweise ein Arzneimittel testen, das periodisch hohes Fieber hervorruft (was auf eine Leberschädigung hinweist), kann dies nur festgestellt werden, wenn das Auftreten des Fiebers mit einem der Studientermine zusammenfällt. Die Forscher müssen daher sicherstellen, dass die gewählte Abfolge der Studientermine dies zulässt und mögliche Messverzerrungen damit reduziert.

Die Forscher müssen außerdem dafür Sorge tragen, dass das gesamte verwendete Instrumentarium kalibriert ist, damit sichergestellt ist, dass sie zutreffende Ergebnisse aufzeichnen (GLP, Gute Laborpraxis), dass also beispielsweise ein Thermometer die Temperatur korrekt misst.

Verblindung

Eine weitere Maßnahme zur Verhinderung von Messverzerrungen ist die so genannte Verblindung. Dies ist die Bezeichnung für eine Vorgehensweise, bei der die Behandlung eines Patienten dem Patienten und/oder den Untersuchern unbekannt ist. Bei doppelt verblindeten Studien wissen weder der Patient noch die Untersucher, welchem Behandlungsarm ein Patient bei der Randomisierung zugeordnet wurde. Doppelt verblindete Studien liefern anerkanntermaßen objektive Ergebnisse, da die Erwartungen des Arztes und des Teilnehmers keinen Einfluss auf das Ergebnis haben. Bei dreifach verblindeten Studien wissen weder der Patient noch die Untersucher noch die Datenauswerter, welchem Behandlungsarm ein Patient bei der Randomisierung zugeordnet wurde.

Eine Verblindung ist speziell dann von Bedeutung, wenn das Behandlungsergebnis subjektiver Natur ist (beispielsweise der Rückgang von Schmerzen) oder wenn eine experimentelle Behandlung mit einem Placebo verglichen wird. Auch wenn eine doppelt verblindete randomisierte Studie als der Goldstandard für klinische Studien angesehen wird, ist eine Verblindung möglicherweise nicht immer möglich:

  • Die Behandlungen können spezifische Nebenwirkungen hervorrufen, durch die sie leicht zu identifizieren sind.
  • Behandlungen können unterschiedliche Darreichungsformen oder unterschiedliche Behandlungsregimes erfordern.

Messverzerrung (bei der Datenanalyse)

Bei einer klinischen Studie ist es möglich, Subgruppen von Patienten zu finden, die besser auf eine Behandlung ansprechen. Werden derartige Subgruppen identifiziert und für die Analyse genutzt, nachdem die Daten erfasst wurde, ist eine Verzerrung nahezu unvermeidlich. Bei einer Subgruppenanalyse werden die Studienteilnehmer in verschiedene Subgruppen unterteilt. Diese könnten beispielsweise auf den folgenden Faktoren fußen:

  • Demografische Eigenschaften (z. B. Geschlecht oder Alter)
  • Eigenschaften bei Aufnahme in die Studie (z. B. ein spezifisches Genomprofil)
  • Parallele Anwendung einer anderen Therapie

Publikationsverzerrung

Publikationsverzerrung bezeichnet den Umstand, dass positive Forschungsergebnisse eher eine Chance haben, publiziert zu werden, als negative Ergebnisse. Dies ist von Nachteil, da es den Zugang zu negativen Forschungsergebnissen versperrt, oder anders ausgedrückt: Forscher, die eine neue Versuchsreihe planen, können durch die in der Literatur verfügbaren Informationen irregeleitet werden. Negative Ergebnisse können über die mangelnde Wirksamkeit einer Behandlung und das Fehlen einer Rechtfertigung für die weitere Fortsetzung der Entwicklung informieren. In einfachen Worten: Würden mehr negative Forschungsergebnisse publiziert, könnte dies Forscher davon abhalten, dieselben Fehler zu machen. Publikationsverzerrung kann zweierlei Ursachen haben: Forscher sind möglicherweise abgeneigt, negative Ergebnisse zur Veröffentlichung einzureichen, und Herausgeber, Journale und Gutachter können dazu tendieren, die Veröffentlichung negativer Ergebnisse abzulehnen. .

Verhinderung von Publikationsverzerrungen

Derzeit sind verschiedene Initiativen zur Reduzierung von Publikationsverzerrungen im Gange. Eine davon sieht eine obligatorische Registrierung von klinischen Studien zur Erforschung von Arzneimitteln vor, bevor diese umgesetzt werden. So veröffentlicht beispielsweise das International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE) keine Studien, wenn diese nicht in öffentlichen Registern wie dem EU Clinical Trial Register (https://www.clinicaltrialsregister.eu) oder ClinicalTrials.gov (USA) registriert wurden. Dank derartiger Register wissen Forscher und Patienten um bestehende klinische Studien, selbst wenn deren Ergebnisse niemals veröffentlicht wurden, und können sich an den Sponsor der Studie oder an die Forscher wenden, um Zugriff auf die Ergebnisse zu erhalten.

A2-4.33.2-V1.2

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