Interview mit Jan Geissler
Transkript
Ich heiße Jan Geissler. Ich bin seit 15 Jahren ein Patientenbefürworter. Im Jahr 2001 wurde ich mit chronischer myeloider Leukämie diagnostiziert. Zu diesem Zeitpunkt waren meine Aussichten nach der Diagnose ziemlich schlecht. Ich nahm an einer Phase I und II klinischen Studie teil und erhielt zwei Prüfpräparate; Forschung war daher ein Teil meiner allerersten Reise als Patient. Das ist der Grund warum ich so sehr an Forschung interessiert bin. Ich wurde ein Patientenbefürworter, da ich verstehen wollte, was in der Forschung vorgeht; ich habe versucht die Prozesse ins Deutsche zu übersetzen, damit Patienten in Deutschland, die die englischen Publikationen nicht lesen können, die Möglichkeit haben sich über die verschiedenen Behandlungsoptionen zu informieren.
Im Laufe der Jahre habe ich mich sehr eingehend mit Forschungsprotokollen, der Überprüfung klinischer Studien, Einwilligungserklärungen, Informationen über Forschungsergebnisse, usw. beschäftigt. Ich bin von einer an Krebs leidenden Person zu einem Patientenbefürworter geworden; ich möchte, dass Patienten den Zugang zu diesen Informationen haben; diese Themen haben mich während der letzten 15 Jahre, immer seit ich mit Krebs diagnostiziert wurde, beschäftigt. Ich war auch an der Entwicklung des Strategieplans für Patientenbeteiligung an der Forschung und Entwicklung (R&D) beteiligt. Wir wissen, dass Patientenorganisationen besonders für HIV seit 20 Jahren an der Forschung teilnehmen. Die Patientenorganisationen für Krebskrankheiten bestehen noch nicht so lange, weil die Industrie, Wissenschaft, Behörden, usw. eine Patiententeilnahme nicht systematisch gefördert haben. Wir haben daher ein Verfahren entwickelt, um zu verstehen, wo und wie eine Patiententeilnahme in der Arzneimittelentwicklung möglich ist.
Ich habe eigentlich zwei Rollen. In meiner Hauptrolle, meiner professionellen Rolle, bin ich der Direktor der Europäischen Patientenakademie; das ist ein fünf Jahresprojekt. Zu den interessantesten Dingen, die ich als Patientenbefürworter erlebt habe, gehört, war„learning by doing”. Wir zeigen Patienten und Patientenbefürwortern wie sie sich an der Forschung und Entwicklung (R&D) systematisch beteiligen können. Ich bin immer noch ein Patientenbefürworter. Ich bin Mitgründer und Leiter eines weltweiten Netzwerks von 109 Leukämie-Patientenorganisationen in 82 Ländern und bin immer noch als Patientenbefürworter aktiv. Ich beschäftige mich mit Forschungsdesign-Projekten und arbeite mit Wissenschaftlern die Forschung für Patienten zu verbessern. Ich habe eigentlich zwei Rollen, ich bin ehrenamtlich und professionell tätig.
WIE HAT SICH DAS EUPATI PROJEKT ÜBER DIE JAHRE ENTWICKELT?
Als wir dieses Projekt im Jahr 2012 starteten wurde es als ein pionierendes Projekt einer öffentlicher/privater Partnerschaft angesehen. Wir arbeiteten an Forschungs- und Entwicklungsprojekten tatsächlich zusammen; aber von einer echten Zusammenarbeit war aber noch keine Rede; die Industrie hatte feste Meinungen über Patientenorganisationen und das war auch umgekehrt der Fall; die Wissenschaft entwickelte Ideen für die Patientenschulung in R&D Bereich. Jeder lebte aber noch in seiner eigenen Welt. Ich glaube, dass wir im Laufe der Jahre nicht nur dieses Projekt sehr erfolgreich auf die Beine gestellt haben – wir bildeten ungefähr 100 Patientenexperten aus, und bis heute haben ca. 40,000 Menschen unsere online Toolbox in sieben Sprachen benützt – und wir leben nicht mehr in unseren eigenen Welten. Heute arbeiten wir als ein Team; jeder hat Interessen; jeder hat einen anderen Background, und das ist, meiner Meinung nach, das Wunderbare.
Ich bin überzeugt, dass die Partnerschaft und das Verständnis für die Interessen, Stärken und Schwächen anderer Interessengruppen weiterbestehen werden selbst wenn das Projekt endet. Ich glaube, dass dieses Projekt hat einen großen Beitrag geleistet wie R&D heute gemacht wird. Als wir im Jahr 2012 dieses Projekt starteten, gab es vereinzelt Patientenbeteiligung an R&D, aber über dieses Thema wurde nicht öffentlich diskutiert. Heute spricht jeder darüber – in medizinischen Konferenzen, Industrieforen, akademischen Forschungsgruppen, bei den Behörden, und in der Politik auf europäischer und nationaler Ebene. Heute wird das Thema überall diskutiert, und ich glaube, dass EUPATI, die Europäische Patientenakademie, eine große Rolle in dieser Debatte und in der Förderung der Zusammenarbeit gespielt hat.
WAS LIEGT FÜR EUPATI IN DER ZUKUNFT?
Fünf Jahre lang erhielten wir öffentliche und private Unterstützung; dieses Projekt wurde als ein öffentlich finanziertes Konsortium geführt. Vom Anfang an konzentrierten wir einen Arbeitsbereich auf Nachhaltigkeit, weil uns klar war, dass es ein bahnbrechendes Projekt war. Wir gründeten die Patientenakademie, wir entwickelten Kurse und die Toolbox; alles wird genutzt werden, wenn die Entwicklung abgeschlossen ist. Es war harte Arbeit, und können jetzt voller Stolz sagen, dass dieses Programm in 2017 weitergeführt wird. Es wird als ein von Patienten geleitetes Programm im Europäischen Patientenforum (EPF) im Geist einer öffentlich/privaten Partnerschaft unter Beteiligung aller Partner weitergeführt; und es wird fortdauern, denn wir haben jetzt 98 Patientenbefürworter in zwei Jahren ausgebildet, aber es gibt über 5,000 seltene Krankheiten. Es gibt mehr als 200 Krebsarten.
Es gibt so viele verschiedene andere chronische Krankheiten. Wir brauchen Patientenbefürworter für jeden Krankheitstyp, und deshalb wir müssen weitermachen. Wir brauchen die Toolbox. Sie muss laufend aktualisiert werden, weil sich die Verordnungen ändern; neue Verordnungen für klinische Studien werden bald in Kraft treten, wie müssen daher unsere Mission fortsetzen. Wir haben die Grundlagen gelegt; EUPATI wird weiterhin als eine sehr starke Initiative aktiv sein, ab nächstem Jahr vielleicht sogar als Institution, wenn die erste Finanzierungphase endet. Für mich ist es nur die erste Phase eines ständigen Bemühens die Patientenbeteiligung an R&D zu fördern.
WAS IST DAS BESONDERE AN EUPATI?
Ich habe es das erste Mal als Patientenbefürworter erlebt, dass Menschen mit Diabetes mit Krebspatienten oder mit Menschen, die an seltenen Krankheiten leiden, zusammenarbeiten; Patienten mit Erfahrungen über HIV oder chronische Krankheiten, wie z. B. Krebs, einem der größten Probleme in unserer Gesellschaft, tauschen Erkentnisse aus. Für mich ist es eines der erstaunlichsten Dinge in meinem Leben, dass alle diese Befürworter auf professioneller Ebene zusammenarbeiten und Erfahrungen über die besten Praktiken austauschen; es ist etwas, dass ich nicht erwartet habe, denn wir neigen dazu uns in unserer Welt abzuschließen und an unseren eigenen Krankheiten in unseren medizinischen Communitys zu arbeiten. Ich bin überzeugt, dass EUPATI etwas wirklich geändert hat, nämlich, dass ALLE an allen Krankheiten zusammenarbeiten, und auch an der Befürwortung. Das ist erstaunlich.