Interview mit François Houÿez

Last update: 19 Juli 2023

Transkript

Ich heiße François. Ich bin 51 Jahre alt. Ich arbeite für die europäische Organisation für seltene Krankheiten EURORDIS; meine Hauptrolle ist es Patienten beim Navigieren durch verschiedene Verfahren über Entwicklung, Forschung, Bewertung von Arzneimitteln zu helfen, ihre Bedürfnisse zu beurteilen; und wir beraten sie wie sie mit allen interessierten Gruppen verhandeln und sprechen können.

Zum Beispiel, wir arrangieren Besprechungen zwischen Unternehmen und Patienten, wenn Patienten nicht wissen wie sie ein Unternehmen über eine klinische Studie kontaktieren können, von dem sie gehört haben, dass es mit der Entwicklung eines Arzneimittels für ihre eigene Krankheit beginnt. Wir erklären den Patienten, was sie besprechen können und wie, und wir begleiten sie, wir arrangieren die Treffen mit den Unternehmen oder manchmal mit öffentlich-rechtlichen Sponsern. Das ist eine Möglichkeit und dann stehen wir ihnen während des gesamten Prozesses zur Seite und beraten sie.

Eine andere Möglichkeit, die auch sehr wichtig ist, ist Mentoring, wenn CHMP, das Komitee das Arzneimittel bewilligt, sich mit Patienten beraten muss. CHMP hat entschieden sich direkt mit Patienten zu beraten, besonders wenn es glaubt, dass es eine negative Meinung abgeben wird. Diesen Patienten müssen die Vorgänge erklärt werden, und sie müssen begleitet werden, und das ist auch meine Aufgabe, sie zu informieren, sie zu begleiten, damit sie den bestmöglichen Beitrag machen können.

Das hilft Patienten am meisten in einer für sie wahrscheinlich sehr schrecklichen Situationen, wenn sie wissen, dass ein Arzneimittel in der Entwicklung ist, bald auf den Markt kommen wird, aber noch nicht genehmigt ist, und dass sie, wenn sie nicht jetzt Zugriff haben können, wahrscheinlich tot sind, wenn es schließlich genehmigt wird. Und die Gesellschaft hat eine Antwort für diese Patienten „compassionate use”. Wie man „compassionate use” Anspruch hat, lernt man nicht in der Schule, man lernt das von den Patienten, die diese Erfahrung gemacht haben, und die helfen Zugriff auf diese Medikamente zu bekommen. Das ist eine sehr wichtige Aktivität.

Manchmal helfen wir individuellen Patienten Wir bekommen eine E-Mail oder einen Anruf von einem Patienten, den wir nie getroffen haben und wahrscheinlich nie treffen werden. Er erklärt uns seine Situation und wir helfen; das ist sehr bereichernd, weil wir manchmal erst Jahre später eine E-Mail bekommen mit den Worten „Es hat übrigens geklappt, und ich bin immer noch am Leben, danke.” Und manchmal sind es Gruppen von Patienten, denen wir Tipps geben wie sie das bekommen können, was sie brauchen. Und ich denke an einige Patienten, die Probleme hatten die richtigen Informationen oder das richtige Medikament zu bekommen, wenn sie es brauchten, und die überlebten dank der Ratschläge, die wir ihnen gaben. Ich erinnere mich z. B. an eine Ärztin aus Belgien, die uns kontaktierte, weil die Versicherung ihrem Patienten ein Medikament, das er brauchte, um seine Nieren zu retten, verweigerte, und sie verzweifelt war, weil sie nicht wusste was sie tun sollte. Wir gaben ihr die notwendigen Informationen, so dass sie diese Entscheidung anfechten konnte, und nur zwei Wochen, nachdem der Patient die Behandlung unterbrochen hatte, war er wieder in Behandlung und konnte seine Nieren retten. Das war ein Fall, und es gibt eine Unmenge von Einzelfällen überall; wir stehen bereit zu helfen. Und daher nimmt Kapazitätsbildung und Training, wie bei EUPATI, wirklich eine Schlüsselrolle ein.

WAS SIND EINIGE HERAUSFORDERUNGEN UND HINDERNISSE, DENEN PATIENTENEXPERTEN IN IHRER ARBEIT AUSGESETZT SIND?

Oft wissen die Patienten nicht, was sie erreichen können, sie wissen nicht, was sie tun können, sie kennen den Prozess nicht gut genug, um zu intervenieren und eine Rolle zu spielen. Selbst wenn sie wissen, was sie tun sollen, denken sie zu oft „na ja…” oder sie sind eingeschüchtert oder meinen das Problem ist zu komplex, und daher unternehmen sie gar nichts. Und es gibt andere, die Herausforderungen annehmen und erfolgreich sind; wir wissen, dass es Leute gibt, sogar Patienten oder Eltern, die ihr eigenes Pharmaunternehmen aufbauten. Ich denke an die Mutter eines Kindes mit einer seltenen Krankheit, sie beschloss, dass der schnellste Weg für sie zu dem geeigneten Medikament zu kommen die Gründung ihres eigenen Pharmaunternehmens war; diese Firma führt gerade eine Gentherapiestudie mit einem vielversprechenden Medikament durch. Und sie arbeitet jetzt an der Weiterentwicklung des Arzneimittels. Das sind natürlich Ausnahmefälle. Aber es gibt andere Möglichkeiten ein starkes Echo zu bekommen, die einfacher sind als eine Pharmaziefirma zu gründen, die aber wirklich einen Unterschied für die Patienten und ihre Peers machen können.

Die Hindernisse… lassen Sie sich nicht einschüchtern, es geht nicht darum, dass man die richtigen Personen oder den Gesprächspartner oder die Person, die Dinge erklären und beraten kann, nicht finden kann. Deshalb ist Networking mit gut organisierten Organisationen, nicht nur Networking im Internet und Informationsaustausch, sondern auch Beteiligung an einer Organisation, Fürsprecherorganisationen und Organisationen, in denen Personen Patienten helfen und sie begleiten, wirklich der Schlüssel.

WIE HABEN SICH PATIENTENBETEILIGUNG UND PATIENTENFÜRSPRACHE ÜBER DIE JAHRE ENTWICKELT?

Die Beziehungen ändern sich ständig, und wir haben das z. B. bei der European Medicines Agency gesehen; sie hat im vergangenen Jahr begonnen mit Patienten zusammenzuarbeiten – Patienten nahmen an mehr als 700 Anlässen mit einer EMA Aktivität teil; jetzt hat EMA diese Aufgabe angenommen und reibungslos eine Menge Aktivitäten organisiert, so dass wir uns auf andere Aktivitäten konzentrieren können, an denen Patienten noch nicht beteiligt sind. Wir selbst gehen von einer Aktivität oder Aufgabe zur nächsten und besprechen, was wir tun können und wo, wie wir Patienten dazu bringen können am Entscheidungsprozess teilzunehmen und anwesend zu sein selbst wenn sie nicht persönlich teilnehmen können. Unsere Rolle entwickelt sich dauernd, weil es ständig neue Bereiche gibt, wo wir lernen, dass wir eine Rolle spielen und neue Patienten einbeziehen können. Wir sollten uns aber auch absolut über die Notwendigkeit bewusst sein, dass wir neue Patientengeneration einschulen müssen. Ich meine, dass meine eigene Entwicklung mehr darin liegt Patienten zu schulen und befähigen, damit sie an dieser Erfüllung arbeiten als dass ich es selbst mache. Es besteht das Risiko, dass wenn die Pioniere in der Befürwortung und jene, die den Patienten zu der Rolle verhalfen, die sie jetzt spielen, ausscheiden, nicht genügend Patientenbefürworter in der nächsten Generation zur Verfügung stehen; wir müssen absolut versuchen neue Patienten an die Front zu bringen.

WAS IST AUF IHRER WUNSCHLISTE FÜR DIE ZUKUNFT DER PATIENTENBEFÜRWORTUNG?

Vielleicht eine offizielle Anerkennung der Rolle der Patienten. Bei offiziell meine ich nicht einen Orden, aber eine Anerkennung für diejenigen, die sich z. B. entschieden haben ihr gesamtes professionelles Leben der Patientenrepräsentation zu widmen und als Patientenbefürworter zu agieren. Und sie haben so ein massives Wissen; nicht nur Wissen wie akademisches Wissen oder hier im Training wie bei EUPATI, sondern wie Dinge erledigt werden können. Eine Art der Anerkennung ihrer Rolle könnte für andere wichtig sein, sie motivieren und für die Gesellschaft ein Zeichen setzen, dass es Menschen gibt, die einen großen und wichtigen Job verrichten, und wir diese Leistung anerkennen. Man könnte z. B. jene, die Experten in regulatorischen Bereichen sind, einen akademischen Grad als Anerkennung für ihre Studien und Arbeit verleihen, oder dafür, dass sie ihre Kenntnisse jetzt an andere weitergeben; das ist der Zweck der akademischen Ausbildung und könnte vielleicht helfen.

Zu oft erkennen unsere Institutionen nicht, was es bedeutet die Zivilgesellschaft und Patienten an allen ihren Aktivitäten zu beteiligen, an allem was für Patienten geplant ist. Die meisten Patienten beteiligen sich ganz spontan und ehrenamtlich, aber wenn das nicht organisiert ist, hilft es ihnen nicht wirklich bei ihren Aufgaben. Für eine Organisation bedarf es der Ressourcen, Trainingsprogramme, Mentoren, Strukturen, Kommunikationsmethoden, usw. Wenn diese Institutionen die Beteiligung der Zivilgesellschaft wünschen, müssen sie erstens überlegen, welche Ressourcen verwendet und wie sie organisiert werden sollen, damit die Patienten ihre Aufgabe erfüllen können. Die Message an alle europäischen nationalen Institutionen ist es diese Bewegung zu begleiten und nachzudenken, was zur Erreichung des Ziels benötigt wird; das sollte vorurteilslos und unter nicht zu viel Einfluss von anderen Gruppen gemacht werden, so dass die Stimme der Patienten überall, wo nötig, gehört wird.

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